Klartext von Guido Wolf MdL zur Asyl- und Flüchtlingspolitik
Geschrieben von: Matthias Busse   
Montag, den 05. Oktober 2015 um 10:15 Uhr

Antwort auf die Regierungserklärung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann zur Flüchtlings- und Integrationspolitik der Landesregierung / Karl Klein MdL veröffentlicht Rede von Guido Wolf MdL, Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion, gehalten am 01. Oktober 2015 im Landtag von Baden-Württemberg (es gilt das gesprochene Wort)

 

Abg. Guido Wolf, CDU: Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrter Herr Ministerpräsident, Ihre heutige Regierungserklärung war notwendig, wenngleich ich etwas irritiert feststelle, dass auf der Regierungsbank das Interesse seither an der Debatte zu diesem wichtigen Thema deutlich zurückgegangen ist. Ihre heutige Regierungserklärung war notwendig, weil Sie über Monate hinweg an dieser Stelle zur Flüchtlingspolitik nichts gesagt haben, weil Sie bis zur letzten Woche der Debatte in diesem Hause ganz aus dem Weg gegangen sind. Der Ministerpräsident wartet heute noch schicksalsergeben darauf, was die nächste Woche wohl bringen mag. Anstatt den großen Herausforderungen mit einer Politik aus einer Hand zu begegnen, haben Sie einen Strauß von Zuständigkeiten geschaffen.

Was haben wir denn inzwischen alles? In diesem Land Baden-Württemberg und in Ihrer heutigen Regierungserklärung hat sich gegenüber dem, was Sie noch zu Anfang dieser Woche an dieser Stelle sagen wollten, noch einmal ganz viel Neues ergeben. Offensichtlich hat man gemerkt, dass noch ganz andere Konstruktionen geschaffen worden sind.

Wir haben seit Kurzem einen Krisenstab unter Leitung des Landesbranddirektors; schon ein wenig länger haben wir eine Taskforce unter Ihrem Staatssekretär Murawski. Dazu haben wir einen bunten Strauß an beteiligten Ministerien und Regierungspräsidien. Ach ja – und wir haben auch ein Integrationsministerium, ein Ministerium, das geradezu sinnbildlich für die Konzeptionslosigkeit und die Überforderung Ihrer Regierung steht, Herr Ministerpräsident. Nachdem der stellvertretende Ministerpräsident heute aufgrund einer Auslandsreise, die er so terminiert hat, nicht hier sein kann, erfahren wir heute parallel über die Medien, dass wir nun auch noch weitere Gipfel bekommen – zumindest kleine Gipfel der Fachminister, zum Thema Wohnungsbau. Eine Konzeption aus einem Guss, Herr Ministerpräsident, sieht anders aus.

Flüchtlingspolitik kann klare Vorgaben machen, die Zuwanderung steuern und die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Wie das funktionieren kann, hat die CDU-geführte Bundesregierung mit ihrem Koalitionspartner in der Großen Koalition beim Flüchtlingsgipfel jetzt gezeigt. Dass Sie gemeinsam mit uns die Ergebnisse der Verhandlungen von Angela Merkel heute so positiv beurteilen, freut uns. Es überrascht aber auch insofern, als Sie sich ja immer in der Haltung gefallen: Wenn es funktioniert, waren es Merkel und Kretschmann gemeinsam, und wenn es nicht funktioniert, sind es die bösen CDU-ler in Berlin. Mit dieser Rollenverteilung ist ab heute auch Schluss, Herr Ministerpräsident.

Waren es nicht Sie und Ihre Fraktionen, die ein zentrales Ergebnis des Gipfels, die Ausweisung weiterer sicherer Herkunftsstaaten, vor einer Woche noch abgelehnt haben? Waren es nicht Grün und Rot, die als erste integrationspolitische Initiative Geldleistungen vor Sachleistungen gestellt haben? Ich darf hierzu einmal aus Ihrem Koalitionsvertrag zitieren: Auf Landesebene werden wir uns dafür einsetzen, dass trotz bundesgesetzlicher Vorgaben das Sachleistungsprinzip schrittweise aufgelockert und auf ... Geldleistungen umgestellt wird. Herr Ministerpräsident, wenn man diese Aussagen im Koalitionsvertrag mit Ihren heutigen Aussagen vergleicht, könnte man geradezu von Aufräumungsarbeiten sprechen. Aber Sie hatten damit Anreize geschaffen, die auch ihren Teil zur aktuellen Einwanderungswelle beigetragen haben. Eine klare Linie und ein erkennbares Konzept – das ist nicht ersichtlich.

Dieser Eindruck verfestigt sich angesichts Ihrer Aussagen zur Ankündigung von Abschiebungen. Beim Flüchtlingsgipfel am Donnerstag haben alle Länder, also auch Sie, einer Regelung zugestimmt, die die Ankündigung von Abschiebungen künftig untersagt. – Richtig! Denn wer Abschiebungen frühzeitig ankündigt, riskiert, dass die Ausreisepflichtigen einfach untertauchen, dass sie sich Polizei und Behörden entziehen und fortan illegal in Deutschland leben. Doch in der vorgestrigen Landespressekonferenz konnten Sie sich an diesen Beschluss schon nicht mehr erinnern. Lassen Sie mich deswegen, Herr Ministerpräsident, die Gelegenheit nutzen, die Beschlüsse des Flüchtlingsgipfels nochmals in Erinnerung zu rufen. Sie haben einige der Beschlüsse schon vorgestellt. Aber Sie haben heute eine sehr grüne Geschichte von diesem Gipfel und von seinen Ergebnissen erzählt – eine Geschichte, die den Schwerpunkt anders und aus meiner Sicht in Teilen auch falsch setzt.

Denn die zentrale Botschaft des Flüchtlingsgipfels bei Angela Merkel ist eine differenzierte: Wir begrenzen Zuwanderung und schaffen mehr Sicherheit. Wir wollen die Flüchtlingsströme eindämmen, aber wir wollen denjenigen auch helfen, die eine dauerhafte Bleibeperspektive haben. Wir wollen die Fluchtursachen in den Herkunftsländern bekämpfen, wir wollen die Verfahren beschleunigen, und es geht darum, ganz Europa in die Pflicht zu nehmen. – Alles gehört zusammen, Herr Ministerpräsident, auch diese Facette, auch diese Zielrichtung des Flüchtlingsgipfels in Berlin. Dann werden nun auch Albanien, Kosovo und Montenegro endlich in den Kreis der sicheren Herkunftsstaaten aufgenommen. Sie haben ja, Herr Ministerpräsident, die Wirksamkeit einer solchen Maßnahme immer bestritten, um am Ende dann doch noch öffentlichkeitswirksam einzuschwenken. Dabei war Ihre Landesregierung im Sommer schon weiter. Wäre der Herr Justizminister jetzt hier, könnte ich ihn loben. Ihr Justizminister hat uns im August auf unsere Anfrage hin – Kollege Heiler, Sie werden es ihm ausrichten – hoch offiziell mitgeteilt – ich zitiere –: „Die Regelung ist daher geeignet, die Dauer der Asylverfahren ... zu verkürzen und damit Kapazitäten beim BAMF freizugeben.“ Das hat Minister Stickelberger vor wenigen Monaten gesagt, während Ministerpräsident Kretschmann hier immer noch auftritt und sagt: „Das alleinige Problem ist, dass wir beim BAMF zu wenig Personal bekommen.“

Herr Ministerpräsident, Sie hätten längst damit beginnen können, Ihre Hausaufgaben im eigenen Land zu erledigen, anstatt ständig mit dem Finger auf andere zu zeigen. Es ging auch darum, in Zukunft zahlreiche Einschränkungen an das Merkmal „Sicherer Herkunftsstaat“ zu knüpfen. Antragsteller aus sicheren Herkunftsstaaten sollen verpflichtet werden können, bis zur Entscheidung respektive bis zur Ablehnung ihres Antrags und ihrer Ausreise in der Erstaufnahmeeinrichtung zu verbleiben. Für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten, die ab dem 1. September 2015 einen Asylantrag gestellt haben, wird ein Beschäftigungsverbot eingeführt. Von diesen Einschränkungen geht ein ganz eindeutiges Signal aus. Wer in Deutschland einen Antrag auf Asyl stellt, obwohl er nicht schutzbedürftig ist, wird unser Land rasch wieder verlassen müssen, und wer nicht ausreist, obwohl er es muss, bekommt künftig nur noch das Überlebensnotwendige. Die Anreize dafür, überhaupt hierher zu kommen, haben CDU und CSU in konkrete Vorschläge überführt: In den Erstaufnahmeeinrichtungen werden künftig Bargeldleistungen durch Sachleistungen ersetzt. Herr Ministerpräsident, mich irritiert wie auch den Kollegen Dr. Rülke, dass Sie so sehr auf den Zusatz „sofern mit vertretbarem Verwaltungsaufwand möglich“ hinweisen. Hat man da gegebenenfalls einen Schulterschluss mit der Kanzlerin zustande gebracht, formuliert schwarz und interpretiert grün? Ist man bereit, das, was als Zielsetzung beim Flüchtlingsgipfel tatsächlich vereinbart wurde, auch konsequent im eigenen Land umzusetzen und Fehlanreize abzubauen? Daran werden wir Sie messen, Herr Ministerpräsident.

Ich will auch die europäische Dimension dieser großen Herausforderung in ganz besonderer Weise würdigen und dabei den Schulterschluss mit Ihren Ausführungen herstellen, Herr Ministerpräsident. Es gibt das Verbindende, und es gibt das Trennende. Die Aufgabe der Opposition ist es und wird es auch in Zukunft bleiben, deutlich zu machen, an welcher Stelle die Landesregierung nicht handelt oder falsche Zeichen setzt, obwohl sie Anderes tun könnte. Es gibt in Europa einen Anspruch auf Schutz für Menschen, die aus Kriegsgebieten vor dem Tod fliehen. Es gibt aber keinen Anspruch darauf, sich innerhalb Europas ein bestimmtes Land aussuchen zu können. Wer kein Asyl in Deutschland erhält, muss in seine Heimat oder in das EU-Land zurückkehren, über das er eingereist ist. Wer nicht freiwillig ausreist, muss zurückgeführt werden. Die Verantwortung für die Rückführung liegt bei den Ländern.

Die Länder müssen die Ausreiseverpflichtung konsequent durchsetzen. Die Abschiebezahlen der Vergangenheit belegen, dass insbesondere in den rot-grün regierten Ländern noch sehr viel mehr getan werden kann. Vielleicht wollen Sie aber auch nicht mehr tun. Ihr grüner Landesvorsitzender kritisierte die Entscheidung Ihres Innenministers, rechtmäßig eine Roma-Familie aus Freiburg abzuschieben, und bezeichnete das damals als inakzeptabel. Was soll an einer rechtsstaatlichen Entscheidung inakzeptabel sein?

Herr Ministerpräsident, Ihrer Partei ist nicht nur Organisationsversagen zuzuschreiben, wie von Oberbürgermeister Salomon bestätigt, Ihre Partei hat auch ein Abschiebeproblem. Wir fordern Sie auf, dies endgültig zu lösen, Herr Ministerpräsident. Zügiges und entschlossenes Handeln ist auch deswegen angezeigt, weil wir jetzt die Versäumnisse und Fehler Ihrer Politik der vergangenen Jahre ausbügeln müssen. Zahlreiche jetzt beschlossene Maßnahmen sind in den vergangenen Jahren immer wieder am Einspruch der SPD im Bund oder am Widerstand der Grünen im Bundesrat gescheitert. Herr Ministerpräsident, dieser Widerstand ging maßgeblich von Ihnen aus. Ich erinnere daran, dass es Ihr vermeintliches Verhandlungsgeschick war, das uns Regeln eingebracht hat, die wir jetzt wieder ändern müssen. Sie waren für die Lockerung der Residenzpflicht verantwortlich, die wir jetzt zurückdrehen müssen. Sie waren es, der auf Bargeldleistungen gepocht und Sachleistungen verteufelt hat. Hinsichtlich der sicheren Herkunftsländer haben Sie monatelang gepokert und taktiert und damit echte Lösungen verzögert. Herr Ministerpräsident, deswegen bleibt die Einschätzung richtig: Sie reagieren, aber Sie agieren zu wenig. Sie sind unverändert ein Getriebener. Das ist angesichts der Dimension dieser großen Herausforderung zu wenig, Herr Ministerpräsident. Wir erwarten entschlossenes Handeln. Das ist Ihre Aufgabe in dieser schwierigen Zeit.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist auch mir ein wichtiges Anliegen, mich in dem Sinne, wie es Ministerpräsident Kretschmann getan hat, bei verschiedenen Partnern angesichts der Bewältigung dieser großen Aufgabe zu bedanken. Dabei stehen für mich die Kommunen, die Landkreise, die Städte und Gemeinden an ganz vorderer Stelle. Herr Ministerpräsident, mir gefällt eines nicht an Ihrer Tonalität. Sie reduzieren Landkreise, Städte und Gemeinden immer mehr auf die Rolle der unteren Verwaltungsbehörden, die sie natürlich auch sind. Landkreise, Städte und Gemeinden brauchen wir aber vor allem, wenn es darum geht, die große Integrationsleistung vor Ort zu meistern. Begegnen wir unseren Kommunen auf Augenhöhe! Wir brauchen sie, um diese große Herausforderung zu meistern.

Liebe Kollegin Sitzmann, es war schon bezeichnend, dass Sie, als der Kollege Rülke Oberbürgermeister Salomon erwähnt hat, dazwischen riefen: Ach, der schon wieder. – Ich gebe zu, es ist lästig, wenn man immer mit Aussagen der eigenen Parteifreunde konfrontiert werden muss. Das sind aber Menschen, die in der Praxis stehen und die offensichtlich wissen, dass das, was hier landespolitisch angerichtet wird, vor Ort eben nicht funktioniert. Deshalb müssen Sie die Aussagen Ihres grünen Oberbürgermeisters Salomon ertragen, liebe Kollegin Sitzmann.

Unbezahlbar ist die Leistung der vielen haupt- und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer. Sie geben unserem Land ein freundliches Gesicht. Sie zeigen das große Herz Baden-Württembergs, wenn es darum geht, Menschen in Not zu helfen. Unser Land kann die Herausforderungen nur meistern, wenn Tausende von Helfern beim Roten Kreuz und anderen Hilfsorganisationen wie dem THW und den Feuerwehren mit anpacken. Sie alle leisten derzeit Übermenschliches. Ohne diesen großen Einsatz könnte Deutschland, könnte Baden-Württemberg die aktuelle Flüchtlingswelle gar nicht bewältigen. Herzlichen Dank dafür. Es sind übrigens auch unsere Soldatinnen und Soldaten, die im Einsatz sind, um diese großen Herausforderungen zu meistern. Ich möchte deshalb auch dieser tragenden Säule unseren herzlichen Dank aussprechen. Auch sie gehören zu denen, die aktuell konkret anpacken. Lassen Sie mich diesen Dank erweitern und auch denjenigen danken, die dafür Sorge tragen, dass wir unsere rechtstaatliche Ordnung aufrechterhalten können. Herr Ministerpräsident, auch Sie haben davon gesprochen. Es sind unsere Polizistinnen und Polizisten, die Tag für Tag für die Sicherheit der Menschen einstehen und erhebliche Mehrbelastungen schultern. In Meßstetten ist inzwischen weder die Taschengeld- noch die Essensausgabe ohne Polizeischutz bzw. ohne Sicherheitsdienste möglich. Von den von Ihnen nur kurz angesprochenen Verstärkungen unserer Polizei muss in der Fläche noch mehr ankommen. Halbherzig ist der Vorstoß der Integrationsministerin, den freiwilligen Polizeidienst wieder zu aktivieren. Ja, wir fordern den freiwilligen Polizeidienst schon lange wieder ein und halten ihn für eine sinnvolle Unterstützung, für eine Entlastung der Profis bei Großveranstaltungen, bei Fußballspielen und bei Streifen in Wohngebieten. Aber für Fälle gewalttätiger Auseinandersetzungen in Flüchtlingsunterkünften brauchen wir nicht den freiwilligen Polizeidienst, sondern mehr Stellen bei der Landespolizei. Herr Seidenspinner hat bereits Alarm geschlagen und gesagt, dass die Polizei des Landes diese gigantische Herausforderung nicht bewältigen könne. Herr Ministerpräsident, wir werden unsere Helfer genauso wie unsere hauptamtlichen Kräfte überfordern, wenn aus dem derzeitigen Ausnahmezustand ein Dauerzustand wird. Diese Arbeit vor Ort verlangt Körper und Geist Enormes ab. Unsere Helfer sind am Limit. So wie heute kann es nicht noch monatelang weitergehen. Ansonsten laufen wir Gefahr, dass wir auch unsere Gesellschaft überfordern.

Herr Ministerpräsident, Sie haben in Ihrer Erklärung dankenswerterweise auch Begriffe wie Stolz und Heimat gebraucht. Für einen grünen Politiker ist das durchaus bemerkenswert. Wir sind stolz auf unsere Heimat. Ja, wir sind stolz auf die Schaffenskraft, auf den Ideenreichtum und auf die Traditionen unserer Heimat. Das ist auch ein Grund, warum die Menschen Angst haben. Ob diese Ängste gerechtfertigt sind ist die eine Frage. Sie in jedem Fall aufzunehmen und offen anzusprechen ist die andere. Auf unser Land wirken enorme Belastungen. Unsere Gesellschaft wird sich wandeln. Hunderttausende Menschen, die nicht nur heute in Deutschland Schutz suchen, sondern vielleicht langfristig in Deutschland leben werden, stellen unser Land vor die größte Herausforderung in Sachen Integration, die dieses Land je gesehen hat. Viele der Flüchtlinge, die jetzt Schutz vor Krieg und Verfolgung bei uns suchen, werden viel Zeit brauchen, um sich in Deutschland zu integrieren. Verschiedenste Sprachen, teilweise völlig fremde Kulturen und meist auch Religionen prägen diese Menschen. Die heute zu uns kommenden Menschen an unsere Gesellschaft, an unsere Werte, an Traditionen, aber auch ganz praktisch an unsere Alltagswelt heranzuführen wird Zeit, Mühe und auch Geld kosten. Daher sollten wir für die, die wahrscheinlich auf längere Zeit in Deutschland bleiben werden, so früh wie möglich verbindliche Deutschkurse und Informationen über die deutsche Kultur und Rechtsordnung anbieten, und wir müssen vom ersten Tag an klarmachen, dass hier eine für alle gültige Rechts- und Werteordnung uneingeschränkt gilt, und zwar die unsrige. Die Trennung von Staat und Religion, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, Religionsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit: Das alles steht fest, das alles ist nicht verhandelbar. Jeder, der hierbleiben will, muss das akzeptieren. Wenn Integration gelingen will, muss die gesamte Gesellschaft daran mitwirken. Doch damit jeder Einzelne Integration auch als seine Aufgabe begreift, müssen wir ihn mitnehmen und in seinen Sorgen ernst nehmen.

Politik muss die Ängste der Menschen bei uns im Land aufnehmen, und sie kann sie nicht einfach ignorieren. Sie darf sie nicht totschweigen, nur weil in fünfeinhalb Monaten Landtagswahl ist. Denn es ist gerade die Aufgabe der Politik, die Sorgen ernst zu nehmen. Davon, Herr Ministerpräsident, haben mir in Ihrer Regierungserklärung Anhaltspunkte gefehlt. Sorgen bereitet den Menschen die Meldung, dass einer Frau nach 23 Jahren die Wohnung gekündigt wird, um dort künftig Flüchtlinge unterzubringen. Diese Sorgen aufzugreifen und anzusprechen, Herr Ministerpräsident, hat nichts, aber auch gar nichts mit dem Schüren von Ängsten zu tun. Es bedeutet schlicht und einfach, sich um die Menschen in dieser Situation zu kümmern. Das ist unsere Verantwortung, und das ist Ihre Verantwortung.

Denn Politik ist täglich im Fluss, und wenn wir nicht aufpassen und Mauern um das Thema bauen oder versuchen, die gesellschaftlichen Realitäten totzuschweigen, bahnt sich das Wasser seinen Weg anderswo, und dann läuft es auf die Mühlen der Parteien, die wir alle zusammen – alle zusammen! – am Ende des Tages in unseren Parlamenten nicht haben wollen. Das gilt auch für enttäuschte Erwartungen, enttäuschte Erwartungen in Sachen Arbeitsmarkt, Einwanderung und Integration, enttäuschte Erwartungen in der Gesellschaft, enttäuschte Erwartungen bei den Unternehmern, enttäuschte Erwartungen selbstverständlich auch bei den Flüchtlingen selbst. Sie, Herr Ministerpräsident, wecken große Erwartungen. Keine Frage: Zuwanderung ist für unseren Arbeitsmarkt eine Chance.

Deutschland braucht Fachkräfte. Unsere Handwerker suchen Lehrlinge, unser Mittelstand sucht Experten, und unser Gesundheitswesen sucht händeringend engagierte Ärzte und Pfleger. Gleichzeitig wollen sich viele hoch qualifizierte Flüchtlinge hier bei uns eine Existenz aufbauen. Sie wollen für sich und ihre Familie eine glückliche Zukunft schaffen, und sie tragen damit zu unserem Wohlstand und zu unserer Altersvorsorge bei. Aber bleiben wir Realisten: Längst nicht alle, die zu uns kommen, sind gut ausgebildete Fachkräfte. Die Arbeitsmarktsituation wird nicht auf Dauer so rosig bleiben. Bundesministerin Nahles hat schon für das kommende Jahr wieder steigende Arbeitslosenzahlen angekündigt. Der Löwenanteil der Flüchtlinge kann mangels Qualifikation nicht sofort in den Arbeitsmarkt übernommen werden. Deswegen warne ich davor, beim Thema Einwanderungsgesetz vorschnell zu handeln und überzogene Erwartungen zu nähren. Denn eine Frage ist noch viel zu wenig diskutiert: Was muss ein Einwanderungsgesetz wirklich leisten? Es geht eben nicht um eine unbegrenzte Zuwanderung. Es geht darum, Einwanderung zu steuern und in mancher Hinsicht auch spürbar zu begrenzen. Es geht um Qualität und nicht um Quantität. Ziel eines Einwanderungsgesetzes muss daher nicht mehr Einwanderung, sondern eine gezielt gesteuerte Einwanderung sein. Das muss die Botschaft eines solchen Gesetzes sein: gezielte Einwanderung in den Arbeitsmarkt, aber gesteuert und reduziert in die Sozialsysteme. Auf dieser Grundlage können wir über ein solches Gesetz reden.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Rad dazu muss nicht neu erfunden werden. Wir haben bereits ein umfassendes Zuwanderungsrecht, das viele Möglichkeiten der legalen Zuwanderung eröffnet. Hoch qualifizierte Menschen mit Berufen, bei denen wir Fachkräfteengpässe haben, sind bei uns herzlich willkommen. Für sie bestehen ohnehin bereits vielfältige Wege, um im deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Laut OECD hat Deutschland im weltweiten Vergleich bereits eines der liberalsten Systeme der legalen Einwanderung. Das Einwanderungssteuerungsgesetz muss deswegen in erster Linie bekannte Regeln zusammenfassen, Sachverhalte vereinfachen und Klarheit schaffen. Unser Vorschlag: Migrationsberater in den deutschen Auslandsvertretungen könnten wichtige Informations- und Anlaufstellen für Interessierte sein. Sie sollten über berufliche Perspektiven in Deutschland informieren und genauso darüber aufklären, wann Einwanderung eine reelle Chance hat. Damit könnte die gezielte Steuerung der legalen Einwanderung und zugleich eine Entlastung des Asylsystems erreicht werden. Bundesaußenminister Steinmeier könnte diesen ersten Schritt relativ kurzfristig und unbürokratisch in den deutschen Botschaften umsetzen.

Herr Ministerpräsident, Sie habe des Weiteren sehr viel über die Fluchtursachen gesprochen. Ich finde das richtig und notwendig. Ja, wir müssen die Gründe, warum die Menschen ihre Heimat überhaupt verlassen, bekämpfen. Da ist in erster Linie auch der Bund gefordert – wohl wahr. Da kann, darf und muss auch noch mehr passieren. Dann frage ich mich aber auch, warum das Land in dieser Situation die Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit zurückschraubt. Nicht immer in erster Linie auf andere zeigen, zunächst die eigenen Hausaufgaben im Land selbst lösen, Herr Ministerpräsident! Bei allen bundes- und europapolitischen Facetten des Themas, die auch Sie in Ihrer Regierungserklärung in aller Ausführlichkeit behandelt haben, sollten wir eines nicht aus den Augen verlieren: Das Land muss handeln, das Land Baden-Württemberg kann und muss handeln. Sie und wir sind Landespolitiker. Die Menschen erwarten von uns konkrete Lösungen. Sie erwarten nicht, dass man ihnen ständig erklärt, was in Berlin und Brüssel anders gemacht werden könnte. Sie erwarten zu Recht, dass wir uns um Baden-Württemberg kümmern und unserer Verantwortung gerecht werden. Da haben wir, die CDU, einige Konzepte vorgelegt – frühzeitig, mehrfach, pragmatisch. Wir haben Schwachstellen aufgedeckt und gleichzeitig Lösungsvorschläge unterbreitet. Mit unserem Konzept der Landeskompetenzzentren für Asyl und Flüchtlinge war und bleibt es unser Ziel, – Herr Ministerpräsident, auch hier können Sie noch handeln –, Zuständigkeiten zu bündeln, an einem Ort zusammenzuführen. So, wie wir es einst in den Bezirksstellen für Asyl getan haben: kurze Wege über den Gang. Das wäre ein wesentlicher Beitrag zur Verfahrensbeschleunigung. Handeln Sie! Das läge in der Zuständigkeit der Landesregierung und könnte schon morgen auf den Weg gebracht werden.

Sie haben vorher gesagt, Asylsuchende und Flüchtlinge sollen in diesen Zentren so lange bleiben, bis ihre Verfahren abgeschlossen sind. Kommt Ihnen das bekannt vor? – Noch vor drei Monaten haben Sie unser Konzept beiseite gewischt. Ich weiß noch, wie Sie von der Regierungsbank aus in das Plenum gerufen haben: „Machen wir doch schon alles!“. Heute stellen Sie fest, dass genau das der richtige Weg ist, die Asylbewerber so lange in der Erstaufnahme zu belassen, bis abschließend entschieden werden kann, ob sie bleiben können oder eben nicht. Das ist der richtige Weg. Das hätten wir gemeinsam schon früher haben können, Herr Ministerpräsident. Es zeigt sich bei Ihnen ein inzwischen bekanntes Muster. Wir wollten das Sachleistungsprinzip wiedereinführen. Sie waren dagegen und sind am Schluss umgefallen, will sagen klüger geworden. Wir wollten mehr sichere Herkunftsländer. Sie waren dagegen und sind am Schluss umgefallen, also erneut klüger geworden. Wir wollten den Kommunen mehr Spielraum bei der Unterbringung von Flüchtlingen geben. Sie waren dagegen und sind am Schluss umgefallen, zum dritten Mal klüger geworden. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Für dieses Umfallen will ich Sie gar nicht kritisieren. Man darf jeden Tag klüger werden. Aber ich will gern meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, dass Sie endlich auch in anderen Punkten klüger werden und schneller handeln, Herr Ministerpräsident.

Es wäre jetzt die Zeit, vorausschauend auch die nächsten Schritte anzugehen. Kollege Rülke hat es angesprochen. Wir haben von Anfang an die Verschärfungen in der Landesbauordnung für einen Fehler gehalten. Im Land der Häuslebauer sollte man Menschen, die neuen Wohnraum schaffen, nicht dauernd gängeln und bevormunden. Diese Politik fällt Ihnen jetzt auf die Füße. Sie verhindert, dass Private bereit sind, Wohnraum zu schaffen, den wir dringend bräuchten. Es interessiert sie herzlich wenig, ob vor ihrer Wohnung ausreichend Fahrradabstellplätze vorhanden sind, oder sie interessiert herzlich wenig die Bedeutung begrünter Fassaden. Jetzt geht es darum, pragmatische, schnelle Lösungswege aufzuzeigen. Wenn Sie jetzt dem Zweckentfremdungsverbot das Wort reden, dann mischen Sie sich in eine Frage ein, die eigentlich nur Mieter und Vermieter etwas angeht, nämlich die Frage, ob und wann eine Wohnung oder ein Haus vermietet werden soll. Ich finde, Politik sollte sich heraushalten, wenn es darum geht, über die eigenen vier Wände zu bestimmen. Mehr Respekt vor dem Eigentum, Herr Ministerpräsident!

Herr Ministerpräsident, Sie haben zu Recht auch davon gesprochen, Integration heiße „bewusst einzufordern“. Integration einzufordern ist richtig. Wir fordern das schon lange. Denn ohne Integrationsanforderungen entstehen Parallelgesellschaften, Parallelgesellschaften, die sich nicht an unser Grundgesetz halten, die die Autorität unseres Rechtsstaats und unserer Polizei nicht anerkennen und die sich abkapseln, anstatt sich zu integrieren. Dem müssen wir zusammen, im Konsens der Demokraten, entgegentreten. Nur dann, wenn klar ist, dass für alle die gleichen Spielregeln gelten, dass sich alle an die „Hausordnung“ halten müssen, kann Integration gelingen. Herr Ministerpräsident, ich hätte mir deswegen auch Antworten erwartet, wie Sie und Ihre Regierung das Fördern und Fordern konkret umsetzen. Wie gehen wir mit jenen um, die sich nicht einfügen wollen, und wie zeigen wir jenen die Grenzen auf, die ihre religiösen Konflikte nun auf unserem Boden austragen? Auf alle diese Fragen hätte ich mir heute von Ihnen ebenfalls eine Antwort gewünscht. Herr Ministerpräsident, Sie sind jetzt auch gefragt – aber darin haben Sie ja schon Übung - die gefundenen Kompromisse gegenüber Ihrer eigenen Partei durchzusetzen, und zwar in der Form, wie die Vereinbarung getroffen worden ist. Denn es bestehen zwischen der reinen grünen Lehre, zwischen Ihren Ideen von unbegrenzter Einwanderung und der Realität eben doch sehr große Unterschiede.

Noch vor einem Jahr haben Sie selber gesagt: „Das Boot ist nie voll.“. Ja, wir wollen Zuflucht sein für die Menschen, bei denen es um Leben oder Tod geht. Deshalb müssen wir unsere Kräfte auf diejenigen konzentrieren, die unsere Hilfe wirklich brauchen. Sie und Ihre Partei haben zu oft den Eindruck erweckt, als müsse Deutschland jeden aufnehmen. Sie haben zu lange jeder Steuerung und vor allen Dingen jeder Begrenzung der Einwanderung Ihre Zustimmung versagt. In Ihrem grünen Wahlprogramm wollten Sie sogar eine Ausweitung der Anerkennung von Asylbewerbern. Erst jetzt, angesichts Hunderttausender Menschen, die in unser Land kommen, scheinen Sie diese Positionen zu überdenken.

Und Sie, Herr Ministerpräsident, Sie benutzen bei diesem Räumen alter Positionen Worte, die aufhorchen lassen. Ich zitiere die Stuttgarter Zeitung vom 14. August 2014 – Winfried Kretschmann –: Wenn alle ins gelobte Land kommen, brechen in kürzester Zeit die Strukturen zusammen und man erreicht das Gegenteil der integrationsfähigen Gesellschaft. – Wenn alle ins gelobte Land kommen. – Zustimmung, Herr Ministerpräsident. Wir dürfen unsere Gesellschaft nicht überfordern, und wir würden sie überfordern, wenn wir auf Ideologie statt Differenzierung setzten. Denn ohne Differenzierung verlieren wir die Mitte der Gesellschaft. Es ist doch Konsens: Menschen, die vor Krieg, Verfolgung und Gewalt fliehen, denen müssen wir helfen und denen helfen wir. Wir helfen, wo wir können. Aber wir können nicht überall helfen. Erst dann, wenn wir diese klare Botschaft gemeinsam aussenden, werden wir die aktuelle Herausforderung auch gemeinsam bewältigen. Dazu sind wir in der CDU- Fraktion ausdrücklich bereit.

2. Teil der Plenarrede von Guido Wolf MdL:

Abg. Guido Wolf, CDU: Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Ministerpräsident, ich hatte ich mich darauf beschränkt, Ihnen ein Umsetzungsproblem zu bescheinigen. Nachdem Sie sich heute nach dieser Debatte dazu aufgeschwungen haben, zu sagen: „Die CDU ist im Großen und Ganzen mit mir und der Landesregierung einverstanden“, und nachdem Sie hinsichtlich der Situation in unseren Erstaufnahmeeinrichtungen qua Landesregierung bestätigt haben, dass dort kein Chaos herrscht, muss ich feststellen: Sie haben nicht nur ein Umsetzungsproblem, Sie haben auch ein Wahrnehmungsproblem.

Wenn Sozialverbände – nicht die Opposition, nicht die CDU, nicht die FDP/DVP – Hilferufe aussenden aufgrund unzumutbarer Zustände in den Landeserstaufnahmeeinrichtungen etwa in Ellwangen. Wenn in Ellwangen von den dort Untergebrachten vier Fünftel Familien mit vielen Kindern sind und ein Fünftel Al-leinstehende und inzwischen bei dem jetzt herannahenden Winter keinerlei Räumlichkeiten mehr, Spielmöglichkeiten für die Kinder da sind, dann sind das, auch im Sinne der dort untergebrachten Flüchtlinge, unzumutbare Zustände und ein Chaos, und Sie müssen dafür sorgen, dass es beseitigt wird, Herr Ministerpräsident. Ich muss leider feststellen – es läuft ja immer ritualisiert ab –, wenn Sie kritisiert werden, dann rollen Sie die Augen des einstigen Gymnasiallehrers, und dann ist alles, was hier gesagt wird, Majestätsbeleidigung. Herr Ministerpräsident, Sie müssen sich gefallen lassen, in einer so schwierigen Situation an dem gemessen zu werden, was Sie und Ihre Landesregierung tun. Da liegt eben vieles im Argen. Das müssen Sie ändern, und da ist die Landesregierung gefordert.

Wenn wir absehbar bis Weihnachten eine erhebliche Vervielfachung derer im Lande haben, die in den Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht werden müssen, dann ist heute schon klar, dass Sie in den nächsten Wochen ein erhebliches Defizit an Plätzen in Erstaufnahmeeinrichtungen haben werden. Dann ist heute schon klar, dass Sie handeln müssen und weitere Einrichtungen dieser Art schaffen müssen und nicht schicksalsergeben zuwarten, was nächste Woche passiert. Da sind Sie gefordert, Herr Ministerpräsident. Sie haben hier den Staatsmann gegeben, haben auf die Krisensituation hingewiesen und den großen Konsens eingefordert. Mit dieser Haltung seien Sie in den Gipfel gegangen.

Ich würde mir vom Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg in erster Linie wünschen, dass er staatsmännisch vor sein eigenes Parlament tritt und dass er auch die Bereitschaft und die Fähigkeit zu gemeinsamen Lösungen im eigenen Parlament prüft und annimmt und nicht ritualisiert jeden Vorschlag der Opposition, aber auch der Kommunen zurückweist, weil nur die Landesregierung das richtige Konzept in der Tasche haben soll. Das ist der falsche Weg, Herr Ministerpräsident.

Um ehrlich zu sein: Alles, was ich heute von Ihnen und von Frau Sitzmann zum Thema Umstellung von Geld auf Sachleistungen gehört haben, überzeugt mich jetzt nicht gänzlich, dass Sie auch wirklich beabsichtigen, was Sie da in diesem gemeinsamen Papier niedergeschrieben haben. Da ist der Rückgriff auf den Vorbehalt des Verwaltungsaufwands greifbar, bei Ihnen vielleicht noch nicht ganz so stark wie bei Frau Sitzmann. Kollege Schmiedel spricht praktisch gar nicht darüber. Es hat mir übrigens überwiegend gut gefallen, was er gesagt hat. Herr Ministerpräsident, wir erwarten von Ihnen, dass Sie hier nicht nur den Schulterschluss mit der Kanzlerin vorgeben, sondern dass Sie konsequent und ohne Hintertürchen das umsetzen, was Sie jetzt vorgeben, in dieser Vereinbarung offensiv auf den Weg gebracht zu haben. Das ist eine konsequente Umstellung von Geld auf Sachleistungen. Daran werden wir Sie messen.

Sie reden von den Schlachten von gestern. Es geht bei diesem Thema auch um die Signale für morgen. Es geht darum, dass in diesen Ländern klar wird, dass wir hier reagieren und dass wir in der Lage sind, auch diese Anreizsysteme abzubauen, dass wir eben nicht den Eindruck vermitteln wollen, als sei bei uns die heile Welt und könnten all die Erwartungen erfüllt werden, die diese Menschen oft in ihrem Gepäck haben. Deshalb ist es eine große Herausforderung auch mit Blick auf die Zukunft, dass wir genau diese falschen Anreizsysteme konsequent abschaffen.

Wenn Sie jetzt noch die Gesundheitskarte – die ich übrigens in meiner Rede gar nicht angesprochen habe – zitieren, dann will ich einfach feststellen: Wenn wir gerade in der Gesamtdiskussion sind, Anreizsysteme abzubauen, dann frage ich mich unabhängig von der Frage, ob die Gesundheitskarte sinnvoll ist oder nicht: Ist der Zeitpunkt, zu dem Sie beabsichtigen, die Gesundheitskarte einzuführen, der richtige, ein Zeitpunkt, in dem es darum gehen muss, Pull-Effekte zu beseitigen und keine neuen zu schaffen? Auch das, Herr Ministerpräsident, möchten wir nochmals in die Abwägung einbezogen haben. Sie haben sich einmal mehr dazu aufgeschwungen – auch Frau Sitzmann hat das getan –, darüber zu befinden, wer berechtigt Ängste aufnimmt und wer sie schürt. Diese Deutungshoheit obliegt ja jetzt ganz offensichtlich den Grünen. Sie haben Antworten auf die Frage eingefordert: Was könnte man denn tun, um Ängste abzubauen?

Herr Ministerpräsident, die beste Antwort darauf ist, den Menschen politische Handlungsfähigkeit zu beweisen, zu zeigen, dass in der Politik nicht gesagt wird: „Das sind die Zahlen von heute; was nächste Woche kommt, das weiß ich noch nicht“, sondern dass jetzt, auf der Basis der Entwicklungen der letzten Wochen und Monate, politisch alles dafür getan wird, dass wir in den Erstaufnahmeeinrichtungen und in den Unterkünften in den Kommunen in den nächsten Wochen und Monaten keine chaotischen Verhältnisse be-kommen. Das ist absehbar. Wenn Sie jetzt nicht handeln, werden Sie für das entstehende Chaos in den nächsten Wochen verantwortlich gemacht, Herr Ministerpräsident.

Ich möchte gern eine Anregung des Kollegen Schmiedel aufgreifen, weil ich glaube – Ja, es ist halt so. – Denn ich glaube, dass dies ein Punkt ist, über den wir in diesem Parlament noch zu wenig diskutiert haben – wir sind hierfür auch nicht allein und originär zuständig: Wir sollten uns einmal ganz gezielt dem Thema Fluchtursachen widmen. Das halte ich für eine Herausforderung, die sich an alle Parteien und alle Fraktionen dieses Hohen Hauses richtet. Veranstalten Sie rasch einen Flüchtlingsgipfel, der sich ausschließlich mit der Frage von Fluchtursachen beschäftigt, und stellen Sie einen Schulterschluss aller in diesem Haus vertretenen politischen Parteien her! „Selbstüberschätzung“ – diese Überheblichkeit spricht Bände. Als ob die Herausforderung nicht so groß wäre, dass man gerade beim Blick auf die Fluchtursachen gut beraten wäre, auch einmal über Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg zu denken. Aber dazu gehört Größe, lieber Kollege Lede Abal.

Herr Ministerpräsident, wir erwarten, dass das, was Sie an Übereinstimmung mit der Bundeskanzlerin heute hier zum Ausdruck bringen, auch Ausdruck Ihrer Überzeugung ist, dass in Berlin, in der Großen Koalition und seitens der Kanzlerin, jetzt vieles auf den Weg gebracht wurde, um die Probleme vor Ort zu lösen. Das heißt aber auch, dass Sie ab morgen mit dem alten Märchen Schluss machen müssen, dass das, was schiefläuft, immer der Großen Koalition in Berlin in die Schuhe geschoben werden kann. Berlin hat gehandelt. Jetzt sind Sie am Zug, Herr Ministerpräsident. Handeln auch Sie im Sinne der Menschen in Baden-Württemberg.

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